…heißt nicht so, weil sie stumm wäre, sondern weil die hochberühmte Orgelbauer-Familie Stumm sie 1771 gebaut hat.
Sie gilt als die wertvollste Denkmalsorgel in Südnassau. Und dass ein solches Instrument ausgerechnet in so einem kleinen Dorf wie Bärstadt steht, liegt an den wechselnden Zeitläuften:
Bärstadt war einmal das lokale Zentrum im Untertaunus mit 16 Dörfern, die zum Kirchspiel gehörten.
Zwei davon waren zum Beispiel Schlangenbad und das heutige Bad Schwalbach, damals noch Langenschwalbach. Das ist aber lange her, und Bärstadt hat seine Funktion als lokales Zentrum lange verloren. Aus diesen Zeiten rühren aber noch solche Dinge wie die stattliche Kirche, die uralten Glocken, und – auch wenn 1771 Bad Schwalbach längst eigenständig und größer als Bärstadt war, die große und qualitativ hochwertige Orgel.
„Ew. Hochfürstliche Durchlaucht geruhen gnädigst Höchst Denselben in Unterthänigkeit vortragen zu laßen, wie daß die Orgel der hiesigen Kirche dergestalt außer allem Gebrauch gesezt ist, dass wir genöthiget ein neues Orgelwerk mit großen Kosten in hiesige Kirche zu stellen.“
So beginnt eine Bittschrift, mit der sich „sämmtliche Eingepfarrte des Kirchspiels Bärstadt“ im Jahr 1768 an den damaligen Patronatsherrn Fürst v. Metternich-Winneburg-Ochsenhausen wandten.
Und damit begann eine Folgen von Glücksfällen.
Der erste war, dass der Patronatsherr des Kirchspiels offenbar in Geberlaune war: er ließ eine Orgel bauen, die dem Gegenwert von zwei großen Bauernhöfen entsprach – bei einer der renommiertesten Orgelwerkstätten der damaligen Zeit, Fa. Stumm. So entstand eine wirkliche „Königin der Instrumente“.
Der zweite war, dass die Gemeinde im 19. Jh. nicht reich war. So kam es nicht zur damals üblichen Entfernung der barocken Orgel, sondern nur zu einer technischen Restauration, bei der allerdings drei Register ausgebaut wurden. Trotzdem ist die Orgel dadurch bis auf den heutigen Tag weitgehend original erhalten. Eine Seltenheit, dank derer unsere Orgel als die wertvollste Denkmalsorgel in Südnassau gilt!
Der dritte: in den Jahren 1970/71 wurde die Orgel von der Firma Beckerath aus Hamburg generalüberholt. Dabei wurden die ausgebauten Register wieder ersetzt, ebenso die im I. Weltkriege eingezogenen und danach in minderer Qualität ersetzten Prospektpfeifen1, und die Instandsetzung wurde so durchgeführt, dass jeder Fachmann, der einen Blick ins Orgelinnere werfen darf, begeistert ist.
Die Orgel hat 22 verschiedene Register, d. h. unterschiedliche Klangfarben, die durch verschieden konstruierte Pfeifen erzeugt werden.
Diese verteilen sich eigentlich auf drei Orgeln, die aneinander gebaut sind. Die Orgel über der Kanzel ist deutlich getrennt in zwei Stockwerke: oben das „Hauptwerk“, unten das „Positiv“. Dahinter steht an der Wand das „Pedal“ für die ganz tiefen Töne.
Principal 8´ Grundregister des Hauptwerkes; singender, tragfähiger Klang, wichtiges Klangfundament der gesamten Orgel
Viola di Gamba 8´ Nachahmung des Streichinstrumentes; intimes, leises, feierliches Register
Bourdon 8´ runder, ruhiger, tragfähiger Flötenton; ebenfalls wichtig für die klangliche Basis der Orgel
Octav 4´ eine Oktave höher als das Principal 8´, Stimmregister der Orgel; darf in kaum einer Registrierung fehlen; verleiht einem Klang Größe und Fülle
Sollicional 4´ stilles Strahlen, verleiht dem Klang Helligkeit
Floet 4´ heller, fröhlicher Flötenklang
Quint 3´ bestimmt auftretende Klangfarbe z.B. für ein Solo der rechten Hand
Supperoctav 2´ hell, glänzend
Tertz 1 3/5´ kleine Pfeifen für ein ausdrucksstarkes Solo oder einen hornartigen Klang im Verbund mit anderen Registern
Mixtur 4fach Klangkrone der Orgel, feierlicher, erhabener Glanz
Trompet 8´ B/D majestätischer, schmetternder Trompetenklang
Principal 4´ das kleinere Pendant zum großen Principal 8´, voll, hell und elegant zugleich
Gedact 8´ feiner, ruhiger Flötenton
Flaut travers 8´ Discant Nachahmung einer Querflöte aus Holz, leise und ausdrucksstark
Kleine Floet 4´ helle, verspielte Flöte
Octav 2´ hell, spritzig
Quint 1½´-3´ in der linken Hälfte der Klaviatur eine Oktave höher als in der rechten; im Baß durchsichtig hell, im Diskant abrundend
Trompet 8´ Discant frech und schmetternd, etwas vorlaut
Vox humana 8´ „Menschenstimme“, Nachahmung der menschlichen Stimme, etwas näselnd, je nach Charakter des Stückes ruhig oder frech
Subbass 16´ tief und rund, erzeugt die in Bauchnähe spürbaren Vibrationen, wichtiges Baßfundament
Octavbass 8´ großer voller Ton, der dem Subbass 16´ Kraft verleiht
Posaunbass 16´ durchdringender, mächtiger Posaunenton
8‘ heißt hier: 8 Fuß, d. h. die längste Pfeife mit dem tiefsten Ton ist in diesem Register 8 Fuß lang. Das sind 2,40m. (Beim Posaunbass 16‘ macht das immerhin 4,80m!)
Der Zahn der Zeit nagt an dem Instrument. Nach gut 40 Jahren ist wieder eine Generalüberholung und eine Sanierung von Schäden notwendig.
Kostenvoranschläge ergeben ca. 70.000 oder 90.000 €, je nachdem, welche Maßnahmen man genau vornimmt. (Das ist mit dem Landesamt für Denkmalpflege und dem Orgelsachverständigen der EKHN noch genauer abzustimmen, hängt auch von der Finanzierbarkeit ab.)
2021 wird die Orgel 250 Jahre alt. Vorher noch, am liebsten bald, soll sie wieder in neuem Glanz erstrahlen.
Dazu brauchen wir die Mithilfe aller. Denn etwa 40.000 Euro müssen wir aus eigenen Kräften aufbringen.
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1 Prospekt nennt man die an der Front von außen sichtbaren Pfeifen einer Orgel